Robotics first in Europa?

Die Angst, dass die Technik uns die Arbeit wegnimmt, lässt sich schon seit mehreren Hundert Jahren beobachten. In den letzten Jahren haben Digitalisierung und Roboter diese Sorge neu befeuert. Ob zu Recht oder zu Unrecht, untersucht die Weltbank in ihrem jüngsten Weltentwicklungsbericht mit beispielloser Akribie. Verantwortlich für das Großprojekt, an dem Dutzende von Ökonomen jahrelang mitgearbeitet haben, ist Simeon Djankov. Er sagt: „Die Bedrohung von Jobs durch die Technologie wird generell übertrieben, das lehrt uns die Geschichte.“

Während Roboter Routinearbeiten erledigen, lösen Menschen komplexe Probleme

Zunächst die Fakten: 2019 werden weltweit ca. 1,4 Mio. neue Roboter zum Einsatz kommen. Deren Menge betrüge dann insgesamt laut Schätzungen der International Federation of Robo­tics (IFR) rund 2,6 Mio. Setzt man diese Zahl in Relation zu den menschlichen Industriearbeitern er­gibt sich die «Roboterdichte». Am höchsten ist sie in Südkorea (631 Roboter pro 10.000 Industriearbeiter), Singapur (488) und Deutschland (309). Alle diese Länder erfreuen sich einer hohen Beschäftigungsquote. Die oft in den Raum gestellte For­mel «je mehr Roboter, desto mehr Unterbeschäftigung» verkennt also die Realität. Die Sache ist komplexer.

Laut Djankov sind besonders in „reichen, angelsächsischen Staaten“ in den letzten zwei Jahrzehnten viele Angestellte durch Maschinen ersetzt worden. Der Ökonom meint damit die USA, Großbritannien und Australien. Besser sieht die Bilanz für Kontinentaleuropa aus. Dort seien durch die Automatisierungswelle netto mehr neue Stellen geschaffen worden, als verloren gegangen seien.

Djankov nennt zwei Gründe für die stärkere Betroffenheit angelsächsischer Länder: den schwachen sozialen Schutz und die Mängel im Bildungswesen. Fehlten soziale Schutzmechanismen und eine solide Grundausbildung, fehle auch die Möglichkeit, Industriearbeiter umzuschulen und sie an neuen Stellen mit höherem Anforderungsprofil zu positionieren. Daher haben die USA in der Tat seit zwei Jahrzehnten viele Jobs im Industriesektor an Ostasien verloren. Laut den Experten der Weltbank zieht Trump aus dem Trend aber die falschen Schlüsse. Denn nicht „America first“ und Abschottung ermöglichen es einem Land, mit der digitalen Herausforderung oder mit Robotern zurechtzukommen, sondern zukunftsgerichtete Bildung und soziale Sicherheit.

Klammert man die angelsächsischen Länder also aus, so hat sich in den reichen OECD-Staaten der Anteil industrieller Jobs an der Gesamtbeschäftigung in den vergangenen zwanzig Jahren kaum verändert. Das ist eine überraschende Beobachtung. Sie zeigt, dass die in den USA und Großbritannien intensiv erforschten Muster der Deindustrialisierung nicht ohne weiteres auf andere Industriestaaten über­tragbar sind. Der anteilsmäßige Verlust von industriellen Arbeitsplätzen ist lediglich ein angelsächsisches Phänomen. Der Mittelstand in Deutschland hat somit im internationalen Wettbewerb weiterhin gute Rahmenbedingungen, um den Standort zu stärken und mit Robotern und dem technischen Fortschritt Schritt zu halten, damit er nicht von neu aufstrebenden Gefahren ein- und überholt werden kann.

Weitere Informationen finden Sie auf https://www.nzz.ch/wirtschaft/wo-roboter-zu-stellenverlusten-fuehren-ld.1435794.

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